Julian war Ende der 2010er-Jahre ein ganz normaler Jugendlicher seiner Zeit. Da es keine echten Trends und Subkulturen mehr gab, schloss er sich, ohne es zu wissen, dem Normcore an. Er trug betont gewöhnliche, unauffällige Kleidung, verzichtete auf jegliche Rebellion und Stellungnahme und lebte eine betont uncoole, stille Jugend. Er mochte es simpel aus Flucht vor einer immer komplexer werdenden Realität, mit der er nichts zu tun haben wollte. Zitat: „Macht, was ihr wollt und ich mache hier halt mein Ding.“
Nach der Schule hieß das dann „Mechatronikerlehre“, weil er gerne baute und schraubte und Elektronik mochte. Anschließend konnte er sich seinen Arbeitgeber aussuchen und wählte den, der seiner ersten eigenen Wohnung am nächsten war. So landete er zufällig bei einem der größten Landmaschinen- und Spezialfahrzeugzulieferer des Landes. Die Schichtarbeit und die Nähe zu seiner Wohnung fand er ideal, blieb ihm doch dadurch eine Menge Freizeit, wenn andere keine hatten.
Am 23.Mai 2023, während seiner Spätschicht an der Reinraum-Produktionsstrecke, kippten folgende Erkenntnisse zeitgleich vom Unterbewusstsein in die Erkenntnis:
- mit seiner Arbeit finanzierte er für den Rest seines Lebens einen halben Rentner mit, Tendenz steigend
- der 400-Tonnen-LKW, für dessen Hydraulik er hier gerade Elektronik zusammenbaute, würde im Kohlebergbau landen und mithelfen, seine eigene Zukunft zu zerstören
- der Juniorchef, der diese Firma vor knapp einem Jahr in dritter Generation erbte, hatte vor kurzem den Sprung in die TOP 300 der reichsten Deutschen geschafft
Er ging nach Hause und rührte sich nicht, bis ihm per Einschreiben die fristlose Kündigung zugestellt wurde. Es dauerte über ein halbes Jahr, seine Stelle wieder zu besetzen.