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75.Geburtstag

Heute vor 75 Jahren trat das Grundgesetz in Kraft. Es ist ein wunderbares Regelwerk des Zusammenlebens von Menschen, auch unabhängig von ausgedachten Sachen wie z.B. Ländergrenzen.
Politik und Gesellschaft sollten zu diesem Anlass das Grundgesetz wieder als das sehen, was es ist: das jederzeit anzustrebende Ideal allen Handelns in diesem Land. Mir gefallen die ersten 23 Artikel besonders:

Art 1 

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Art 2 

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Art 3 

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Art 4 

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Art 5 

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Art 6 

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Art 7 

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

Art 8 

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Art 9 

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Art 10 

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Art 11 

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

Art 12 

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Art 12a 

(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.

(2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht.

(3) Wehrpflichtige, die nicht zu einem Dienst nach Absatz 1 oder 2 herangezogen sind, können im Verteidigungsfalle durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu zivilen Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung in Arbeitsverhältnisse verpflichtet werden; Verpflichtungen in öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse sind nur zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben oder solcher hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, die nur in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis erfüllt werden können, zulässig. Arbeitsverhältnisse nach Satz 1 können bei den Streitkräften, im Bereich ihrer Versorgung sowie bei der öffentlichen Verwaltung begründet werden; Verpflichtungen in Arbeitsverhältnisse im Bereiche der Versorgung der Zivilbevölkerung sind nur zulässig, um ihren lebensnotwendigen Bedarf zu decken oder ihren Schutz sicherzustellen.

(4) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.

(5) Für die Zeit vor dem Verteidigungsfalle können Verpflichtungen nach Absatz 3 nur nach Maßgabe des Artikels 80a Abs. 1 begründet werden. Zur Vorbereitung auf Dienstleistungen nach Absatz 3, für die besondere Kenntnisse oder Fertigkeiten erforderlich sind, kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen zur Pflicht gemacht werden. Satz 1 findet insoweit keine Anwendung.

(6) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an Arbeitskräften für die in Absatz 3 Satz 2 genannten Bereiche auf freiwilliger Grundlage nicht gedeckt werden, so kann zur Sicherung dieses Bedarfs die Freiheit der Deutschen, die Ausübung eines Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Vor Eintritt des Verteidigungsfalles gilt Absatz 5 Satz 1 entsprechend.

Art 13 

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

Fußnote

Art. 13 Abs. 3: Eingef. durch Art. 1 Nr. 1 G v. 26.3.1998 I 610 mWv 1.4.1998; mit GG Art. 79 Abs. 3 vereinbar gem. BVerfGE v. 3.3.2004 (1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99)

Art 14 

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Art 15 

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.

Art 16 

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

Art 16a 

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Fußnote

Art. 16a: Eingef. durch Art. 1 Nr. 2 G v. 28.6.1993 I 1002 mWv 30.6.1993; mit Art. 79 Abs. 3 GG (100-1) vereinbar gem. BVerfGE v. 14.5.1996 I 952 (2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93)

Art 17 

Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.

Art 17a 

(1) Gesetze über Wehrdienst und Ersatzdienst können bestimmen, daß für die Angehörigen der Streitkräfte und des Ersatzdienstes während der Zeit des Wehr- oder Ersatzdienstes das Grundrecht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz), das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Artikel 8) und das Petitionsrecht (Artikel 17), soweit es das Recht gewährt, Bitten oder Beschwerden in Gemeinschaft mit anderen vorzubringen, eingeschränkt werden.

(2) Gesetze, die der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen, können bestimmen, daß die Grundrechte der Freizügigkeit (Artikel 11) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13) eingeschränkt werden.

Art 18 

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.

Art 19 

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Art 20 

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Art 20a 

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Art 21 

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

Art 22 

(1) Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist Berlin. Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.

(2) Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.

Art 23 

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Auszeit

Wie unschwer zu bemerken war, gab es hier eine längere Auszeit. Das hatte Gründe, die nun vorüber sind. Mit diesen Gründen hängt zusammen, dass ich hier nicht mehr über die Implosion unserer Lebensgrundlagen (im weltgeschichtlichen Maßstab gesehen) berichten werde. Nicht, dass sich die Lage im letzten halben Jahr gebessert hätte, ganz im Gegenteil:

https://taz.de/Atommuelllager-saeuft-ab/!5914980/
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/brasilien-flut-106.html
https://www.tagesschau.de/thema/erderwärmung

…aber ich werde hier nicht mehr darüber berichten. Kann sich jeder selber drüber informieren, oder es lassen. Mir reichen die Gespräche im Alltag z.B. mit Leuten, die die Grünen deswegen nicht wählen, weil sie ihnen die ganze Freiheit wegnehmen wollen, während schon auf der ganzen Welt immer mehr Flächen unbewohnbar werden und sich Naturkatastrophen in Häufigkeit und Intensität steigern. Hab ich hier schon oft genug drüber geschrieben, weswegen ich mich hier in Zukunft mehr so auf die schönen, gewöhnlichen und alltäglichen Dinge beschränken werde. Mehr als diese Seite, die es weiterhin gibt, braucht man eh nicht zum Thema.

Pobierowo, Polen (Travelblog)

Herbstferien. Die Familie will nochmal an die Ostsee. Weil die Ostsee das Allerbeste ist. Wir landen in Pobierowo, zwei Orte weiter, als wir vor ein paar Jahren schonmal waren.

Am ersten Tag gehen wir am Strand nach rechts. Vier Kilometer. Links entspannende Wellen. Oben theatralische Herbstwolken. Rechts leichte Steilküste mit Küstenwald obendrauf unten Sand. Mich entschleunigt das auch und das ist gerade auch nicht das Falscheste. Am Ende der Wanderung wartet eine große Stahlkonstruktion, die ungefähr 10 Meter über dem Strand endet. Daneben, auf der Steilküste, stehen Reste einer Kirche, weil die Ostsee früher noch ein paar hundert Meter weiter entfernt war.

Am nächsten Tag gehen wir am Strand nach links. Rechts entspannte Wellen, oben theatralischer Wolkenhimmel, durchbrochen von Sonnenstrahlen, links leichte Steilküste mit Küstenwald obendrauf unten Sand. Nach vier Kilometern erreichen wir ein verfallenes Strandhaus. An der Seite ist ein Loch und man kann reinschauen. Teilunterkellert, total verwohnt, tolle Lage. Das ehemalige Strandhaus von Eva Braun, Hitlers Trulla.

Vier Kilometer nach links findet man Schatten des Faschismus, vier Kilometer nach rechts Mutter Natur (Gaia, Magna Mater, Tellus, Rhea, Ceres, Bhumi, Mundo) die eine Kirche frisst. Mittendrin Urlaub, antisemtische Ausschreitungen in Deutschland und ein Rückführungsgesetz als Lösung aller Probleme. 50.000 Menschen abschieben, falls das gelingt, wird sicher alle Probleme Deutschlands lösen. Zum Beispiel die 300.000 fehlenden Kitaplätze, oder die Ignoranz der Klimakrise und die Flüchtlinge, die diese auch in die schuldigen Industriestaaten führen wird. Aber was weiß ich schon. Außerdem gab es Mails von meiner Chefin. Ich deaktiviere den Mailaccount für die kommenden Tage.

Am Wegesrand: vermutlich ein Popup-Store für Rosenkränze
(auf Vetrauensbasis)

Wir haben eine schöne Unterkunft gefunden. Direkt hinter dem Küstenwald kann man vom Schlafzimmer aus durch die Bäume hindurch die Ostsee sehen. Kurze Wege. Statt Buden für Touristenschrott, Eis und Kurzgebratenes findet man in den Orten nur Planen und Spanplatten am Wegesrand. Das ist schön, macht es aber nicht ganz leicht, Abwechslung in die Gaststättenbesuche zu bringen. Am ersten Abend landen wir im Restaurant eines Spa-Hotels, dass für die Hotelgäste ein Abendbufett aufgetafelt hatte. Wir sind alleine unter polnisches Gästen. Ich mag das, beobachte und trinke Fassbier.
Die Tage gehen dahin, wir nehmen uns garnichts vor. Schlafen lange, genießen die gemeinsame Zeit, spielen Ubongo und Stadt, Land, Fluss, gehen einmal am Tag essen. Die beste Frau von allen badet beinahe täglich bei 8/9° in der Ostsee. Das hat sie im Frühjahr an der Nordsee gelernt. Ich lese ein Buch fertig, dann noch zwei weitere komplett. Die Töchter haben Spaß miteinander und sind albern.

Ein Ausflug führt uns nach Kolobrzeg. Auch da ist es viel angenehmer als im Sommer. Meistens sind wir aber in der Natur oder laufen durch leere Orte, mal mit, mal ohne Nieselregen und dann ist die Woche auch schon wieder rum.

Am letzten Tag unterhalten wir uns mit dem Vermieter. Der kennt Leipzig gut und auch Torgau, sagt er, nachdem er uns fragte, wo wir genau herkommen. Als ich ihn zurückfrage, woher er Leipzig kennt, sagt er, aus dem Sozialismus. Er hat auf einer Pelztierfarm gearbeitet und es bestand da eine Zusammenarbeit mit Torgau. Als ich „Leipziger Messe“ sage, leuchten seine Augen. Einige Freundschaften bestehen bis heute und zu Silvester bekommt er Besuch von alten deutschen Freunden aus dieser Zeit. Doch meistens kümmert er sich jetzt um seine Enkel. Wieder beginnen seine Augen zu leuchten. Der jüngste Enkel ist drei und man merkt, dass er ihn besonders mag. Vor kurzem war er mit der ganzen Familie in Ägypten und im Winter reisen alle nochmal zum Skifahren nach Italien. „Beste Zeit des Jahres“ sagt er. Wir tauschen Kontaktdaten aus. Wenn wir wollen, sollen wir direkt buchen. Ist billiger als im Internet.
Vielleicht sind wir im Sommer also wieder hier. Die Ostsee ist das Beste und die polnische Ostsee gleicht der deutschen wie ein Ei dem anderen.

1.Zahltag-Jahrestag

Vor einem Jahr fing ich an, auf dieser Internetseite tägliche Nachrichten und Links zu sammeln, die mir zum Thema #Klimakatastrophe so unterkamen. Erst ziemlich sporadisch, inzwischen ziemlich intensiv. Die Seite hatte vorher keinen wirklichen Nutzen mehr und so erschien es mir vernünftiger, diese Sammlung hier öffentlich anzulegen, statt nur für mich im Verborgenen. Die Statistiken des Webspaces zeigen, dass die Zugriffszahlen über das vergangene Jahr (beginnend bei 0) auf niedrigem Niveau einen leichten, aber kontinuierlichen Anstieg verzeichnen (niemand liest mehr Blogs). Im Moment bin ich bei ca. 150 individuellen Nutzern pro Monat. Ich habe keine Ahnung, wer das alles ist, aber wenn ich nur einen Besucher pro Monat durch diese Sammlung schlauer mache, hat es sich doch schon irgendwie gelohnt. Unterm Strich bleibt das hier aber wohl weiterhin eine private Sammlung, die vor allem mich schlauer macht und inzwischen zu einem Ritual in meinem Tagesablauf geworden ist.

Ich freue mich, diesen Schritt gegangen zu sein, denn nun weiß ich sehr viel mehr über dieses Thema, als noch vor einem Jahr und bin immer halbwegs auf dem Laufenden über tagesaktuelle Entwicklungen, neue Forschungsergebnisse und das große Ganze. Alternativ würde ich dieses unangenehme Thema wohl ähnlich meiden, wie viele andere. Kein Thema der Menschheitsgeschichte ging (i.V.m den starken Verlusten bei der Biodiversität) bislang so allumfassend ans Eingemachte der menschlichen Existenz. Vermutlich interessiert es mich daher so sehr.

Bei der Sammlung wurde bislang einmal mehr deutlich:
Zu nichts hat der Mensch so eine schlechte Beziehung, wie zur realen Welt und mit Nichts könnte man sich davor besser schützen, als mit bereits vorhandenem Wissen und Erkenntnis. Aufklärung und Humanismus. Vernunft und Moral. Näher, als mit dem aktuellen weltweiten wissenschaftlichen Konsens kommen wir nicht an die Realität ran, um Fehler zu vermeiden. Stattdessen ist uns eine gut erzählte Geschichte, gepaart mit der eigenen Überhöhung immer noch lieber, als Akzeptanz und angemessene Reaktion auf Sachlagen.

Irgendwo in der Geschichte haben wir den Bezug zur Natur verloren, sonst wäre Geld als etwas, das außerhalb unserer Vorstellungskraft garnicht existiert, nicht unsere größte Triebfeder. Wäre es anders, würden unsere aktuellen Wirtschaftssysteme, allen voran der Kapitalismus, nicht den Faktor „Zerstörung der Lebensgrundlagen“ weitgehend aus der Gesamtgleichung streichen, obwohl man es seit mindestens vier Jahrzehnten besser weiß. Man würde sich nicht einbilden, dass unser Wirtschaftssystem deswegen so gut funktioniert, weil letztlich alle davon profitieren, sondern weil wir über unsere Verhältnisse leben, verwitterte Dinosaurier ausgraben und verfeuern, statt sie dort zu lassen, wo sie sind. Wir würden uns auch nicht einbilden, dass das alles so zu sein hat, wir irgendeinen Anspruch darauf haben und es immer so weitergehen kann. Natur = Kreislaufwirtschaft menschliches Handeln. Wir hätten sowieso flächendeckend eine andere Definition davon, was Erfolg ist. Stattdessen bezweifeln wir, stellen in Frage und erfinden neue Geschichten, die vor Logikfehlern nur so strotzen, nur um uns der Realität nicht stellen zu müssen. Aus der Draufsicht ist das faszinierend, mittendrin und mit Blick auf die Zukunft deprimierend.

Ich nehme mich dabei auch garnicht selbst aus. Noch vor 12 Jahren dachte ich: „Es gab nie eine bessere Zeit und einen besseren Ort in der Weltgeschichte, um Kinder in die Welt zu setzen.“ Meine Erfahrung war, dass die Menschheit Probleme bislang immer in den Griff bekommen hat. Das Thema Klimawandel war in meiner Wahrnehmung und der vollen Tragweite damals noch nicht so präsent. Irgendwo im Hinterkopf als eines von vielen Problemen schon, aber sicher nicht so wie heute. Inzwischen ertappe ich mich immer öfter bei dem Gedanken: „In was für eine Scheiße habe ich euch da nur reingesetzt?“, wenn ich an die Zukunft meiner Kinder denke. Das liegt, neben dem oben genannten, an der epochalen Größe des Problems, der Gesamtlage der Welt, dem Erfordernis einer globalen koordinierten Reaktion der Selbstbeschränkung, den vielen Dingen, die wir über unsere Natur noch nicht wissen (wie schnell treten z.B. unumkehrbare Kipppunkte ein?) und dem Faktor Zeit. Einerseits ist die inzwischen äußerst knapp, andererseits sind die Schäden für die nächsten Generationen schon angerichtet (es wird noch eine lange Zeit schlimmer, bevor es wieder besser werden kann), wiederrum braucht es mehr als eine (Rest-)Lebensspanne, um dem Problem angemessen zu begegnen, verbunden mit der rhetorischen(?) Frage, ob wir dazu altruistisch genug sind. Ich bin wenig optimistisch, auch abgesehen von allen anderen mitspielenden schlechten menschlichen Eigenschaften. In Diskussionen möchte man auf alle aktuell vorgebrachten „Gegenargumente“ antworten: „Nur mal angenommen, die Gesamtheit aller Fachwissenschaftler auf der Welt wüsste es besser als du. Was dann?“

Doch zurück zu meinem eigenen Beitrag. Mein Leben ist natürlich auch weit davon entfernt, klimaneutral geführt zu werden, doch ich gebe mir zunehmend Mühe.
Dickster Brocken auf der Haben-Seite ist der Verzicht auf Fleisch, den ich (leider erst) vor 1,5 Jahren begann und mittlerweile auf weitere tierische Produkte ausgeweitet habe. Damit macht man viele Dinge auf einmal richtig, denn:

  • je nach Quelle 65-70% der landwirtschaftlichen Produktion gehen für Futtermittel drauf, Fleisch deckt aber nur 11% der Nährwerte.
  • Landwirtschaft ist ein Vogel- und Insektenkiller und damit schlecht für die Biodiversität
  • 70% des Wasserverbrauchs bei der Nahrungsmittelproduktion fallen in der Tierhaltung an.
  • Massentierhaltung ist kein Spaß, weder für die Tiere, noch für die Menschen, die damit zu tun haben.
  • pflanzliche Ernährung ist wesentlich gesünder
  • Verzicht auf Fleisch- und Tierprodukte lässt sich problemlos sofort umsetzen

Daraus folgt, dass wir jede Menge Flächen wieder zu echten Wäldern machen könnten, je mehr Menschen sich ganz oder teilweise für Fleischverzicht entscheiden. Und da habe ich noch nicht mal über die Unmengen Treibhausgase (CO2 und Methan) gesprochen, die in der Fleisch- und Wurstproduktion anfallen. Dieser Verzicht ist eine einzige Win-Win-Win-Entscheidung, rein faktisch betrachtet.

Okay, aber was noch?
Ich mache auch noch einiges anderes was so geht. Fahre (inkl. Urlaub) keine 5.000km/Jahr mehr Auto, fahre Zug und Rad, wenn es zum Alltag passt, kaufe Dinge in Nachfüll- oder Großgebinden, um Plastik zu vermeiden, kaufe für ich generell grundsätzlich gar nichts mehr, was nicht notwendig ist, habe im vergangenen halben Jahr zwei Haushaltsgroßgeräte erfolgreich mittels Youtube selbst repariert (Ich(!)), bin in meinem Leben generell kaum Flugzeug geflogen (<10 Urlaubsreisen) und fliege seit Jahren garnicht mehr.
Sowas halt. Und trotzdem ginge theoretisch noch mehr. Ich fahre z.B. gerne Motorrad, ein absolutes „Guilty Pleasure“, verhänge das aber immerhin mit dem Feigenblatt der CO2-Kompensation (=Spenden für Aufforstung des chilenischen Regenwaldes, Wiedervernässung der Moore in Norddeutschland und so Sachen). Ich bewohne mit meiner Familie ein Einfamilienhaus mit Brennwertgasheizung, was aus Wohneffizienzgründen eine energetische Vollkatastrophe ist. Ich werde mir Beratung holen, was sich da (finanziell machbar) noch rausholen lässt, sobald die Denkmalschutzgesetze gelockert werden, will es aber auf absehbare Zeit grundsätzlich erstmal nicht aufgeben. Ich kann aufgrund der aktuellen Familiensituation und Wohnsituation auf viel Auto verzichten, aber nicht aufs Ganze. Und auch das sind nur die größten Brocken des persönlichen Fehlverhaltens.

Unterm Strich bleiben für mich laut Onlinerechner rund 6.000kg CO2-Verursachung im Jahr, was deutlich unter dem Schnitt meiner Einkommensklasse (10.500kg), aber deutlich über den 2.500 bis 3.000kg/Jahr, die dem Weltbürger zur Verfügung stehen, liegt.
Und da bin ich im Prinzip genau beim springenden Punkt. Alles, was man tut ist gut, weil es bestenfalls halt auch Schule macht, aber es wird trotzdem nicht reichen. Ich wohne in Deutschland, dem 6.größten CO2-Verursacher der Welt. (Zum Vergleich: Der Kontinent Afrika mit über 50 Ländern und 1,4 Milliarden Menschen verursacht 4,4% des weltweiten CO2. Deutschland alleine knapp 2%. Erstgenannte sind es aber, die bald endgültig nicht mehr dort leben können, wo sie gerade leben.). Es gibt wesentlich größere Hebel zum Ansetzen. Wo kann die Industrie sparen, was wollen wir noch produzieren und auf was können bzw. müssen wir alles verzichten? Wie wollen wir leben? Was hat jeder nach seinen Möglichkeiten beizutragen, damit man wenigstens die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht (die auch schon nur ein schlechter Kompromiss sind)? Wie kriegen wir so schnell wie möglich die Klimagasentstehung runter? Was machen wir mit den Menschen, die bald nicht mehr dort leben können, wo sie gerade leben? Fragen, die in Neonfarben geschrieben im Raum stehen. Doch von solchen Diskussionen sind wir als Gesellschaft leider weit entfernt, wenn wir es nicht mal schaffen, die niedrig hängenden Früchte (Reduzierung des Individualverkehrs, Umrüstung auf klimaneutrale Energieerzeugung, etc.) vernünftig zu diskutieren, geschweige denn im erforderlichen Maß und schnell genug umzusetzen. Jedes Industrieland macht irgendwas, aber keines macht im Moment genug.
Ergo: Ich wäre zu noch viel mehr bereit unter der Bedingung, dass jeder nach seinen Möglichkeiten mitmachen muss.

Doch zunächst sammle ich hier weiter Informationen, denn vom Ignorieren geht der Stand der Dinge auch nicht weg.

„Und sag mir, wen du heute für weiser hältst: denjenigen, der eine Methode entdeckte, Safranparfüm aus verborgenen Rohren in ungeheure Höhe zu versprühen, der Kanäle mit einem plötzlichen Wasserschwall füllt oder leert, der eine Reihe von drehbaren Deckenteilen für einen Speisesaal so konstruiert, dass sie ein unterschiedliches Aussehen annehmen können, das bei jedem Gang wechselt? Oder denjenigen, der anderen und sich selbst beweist, dass die Natur keine schwierigen oder unerfüllbaren Anforderungen an uns stellt und dass wir ohne den Marmorsteinmetz und den Tischler eine Wohnstätte haben können, dass wir uns kleiden können, ohne Seide zu importieren, dass wir alles haben können, was wir für unseren gewöhnlichen Bedarf benötigen, wenn wir uns mit dem begnügen, was die Erde auf ihrer Oberfläche zur Verfügung stellt.“

Seneca

Das schrieb Seneca … vor 2.000 Jahren und ganz ohne bevorstehenden Klimakollaps.

Irgendwo im Weltall gibt es einen Planeten, auf dem leben nackte Affen mit zu groß geratenen, komplizierten Gehirnen, die dringend daraus lernen sollten.

Aktuelles Regelwerk

Will man Macht ausüben, kann man:

  1. Wählen gehen

    Artikel 20 (2) Grundgesetz:
    Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
  2. Mit öffentlichen Versammlungen auf politisches/gesellschaftliches Fehlverhalten aufmerksam machen, z.B. auf Verstöße gegen Artikel 20a des Grundgesetzes:

    „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“
  3. Sich selbst verhalten.

Norderney, Travelblog

Samstag, ich stehe Beizeiten auf, schließlich habe ich eine Familie vor einem Bahnstreik zu retten, der dann doch nicht stattfindet. Autobahn, freiwilliges Tempolimit (120 km/h), angenehmes Rollenlassen mit Tempomat, der große Opel bleibt bei 5,9l/100km.

Ich passiere Magdeburg, später dann Braunschweig und Salzgitter. Wegmarken aus der Vergangenheit. Verrückte Zeiten. Ich bin müde.
Dann Bremen an der Weser. Etwas später die Abfahrten „Achim Nord“ und „Achim Süd“. Muss dabei an verfeindete Zwillingsbrüder denken, die sich von der südlichen und nördlichen Feste aus mit Katapulten beschießen. Keine Ahnung wieso. Dann runter von der Autobahn, das abschließende Geklingel über Ortschaften und Einöden mit gelben Namen auf grünen Schildern. In einem wirbt die christliche Gemeinde mit ihrer beliebten Wunschdisko um Jugendliche. Unten auf der Tafel steht „Die Ewigkeit ist mein Zuhause“. Ich denke: „Painkiller“ von Judas Priest und „Zeitgeist“ von Black Sabbath wären ob der Texte gute Wünsche.
Vor der Fähre gibt es einen großen Parkplatz. Also es gibt einen großen Parkplatz, dann noch einen und dann eine unbefestigte Ausweichfläche, falls alles andere schon voll ist. Dort halte ich und laufe die knapp 2km zum Fährkartenautomaten. Laut Fahrplan habe ich Zeit. Die nächste Fähre kommt erst in 50 Minuten. Dann ruft ein Mann. Alle ohne Koffer werden auf einen kleinen Kutter gelotst, der sofort losfährt. Ich bekomme einen ersten Eindruck vom Querschnitt der Norderney-Besucher. Damenreisegruppen, Rentner aus den 90ern und distinguierte Pärchen, wo der Herr sich gerne einen knallgelben Pullover um den Hals knotet (Knotung: Windsor) und die Dame mit Schmuck und Schminke nicht geizt. Wenig Familien mit Kindern. So wird es auch auf der Insel bleiben. Eine Dreiviertelstunde später: Land in Sicht.

Am Ufer werde ich von meiner Familie abgeholt. Es mag auch an der Müdigkeit liegen, aber ich bin schon ein wenig gerührt. Am Ufer entlang geht es zum Mittagessen (Pizza Funghi und Pils) und ich bekomme einen ersten Eindruck von der Nordseeinsel. Gute kalte Seeluft an geharktem, gepflastertem Ufer. „Bonner Republik“ ist das Erste, was ich denke, als ich die Uferpromenade mit ihren unmodern gewordenen Lampen und die angrenzenden Hotels sehe. Auf dem Sturmflutwall läuft es sich angenehm mit Blick auf die See. Es sind nicht viele Leute unterwegs. An der Rezeption meines Hotels empfängt mich ein Holländer. Die Aufenthaltsbereiche versprühen ältlich-mondänen Charme, die Leute hier sind nett. Das Hotelzimmer ist ein Hotelzimmer. Ich richte mich ein. Dann schlafe ich ein. Den späteren Nachmittag verbringen wir auf einer Decke am Strand, was schön war.

Die Kinder haben viel zu erzählen. Ich lerne: Die Strandbreite variiert ziemlich schnell. Nach dem Abendessen trenne ich mich wieder von meiner Familie. Auf dem Weg zum Hotel überlege ich, was mir hier eigentlich schon die ganze Zeit so komisch vorkommt. Dann fällt es mir ein. Es ist absolut still auf Norderney. Weil die Leute still sind, aber vor allem, weil hier keine Autos fahren. Das ist so ungewohnt, dass ich das erstmal als unangenehm wahrnehme, was ja Quatsch ist. Keine laute Musik, keine lauten Gespräche und keine lauten Autos führen dazu, dass man sich unbehaglich fühlt. Darüber denke ich nach, bis ich im Hotelzimmer ankomme, wo ich alsbald in einen tiefen matten Schlaf falle.

Zum Frühstück bekomme ich zur Wiedergutmachung eines kleinen Fauxpas des Kellners einen Fensterplatz mit „phänomenalem“ Blick auf den Hochwasserschutzdeich und ein Spiegelei, ohne darum gebeten zu haben. Am Vormittag fahren wir mit dem Bus bis zur Endstation „Oase“, in der Mitte des Nordufers. Dort gibt es einen mehrere hundert Meter breiten Strand, als wir dort ankommen. Wir verbringen Zeit auf einer Sandbank, die Sonne scheint. Später laufen wir durch das Naturschutzgebiet zum Leuchturm im Zentrum der Insel. Alles voller wilder Hasen hier, zum Teil schon tot und ausgeweidet, aber auch Fasane und seltene Vögel sehen wir auf dem Weg. Ich steige auf den Leuchtturm. Meine Familie war schon. Oben hat man einen schönen Rundumblick. Während ich überlege, womit ich meine CO2 für die Reise diesmal kompensiere, starten und landen unterhalb des Turmes einmotorige Privatflugzeuge. Meine Familie geht zum Mittagessen. Mir gelingt es nicht, einen Imbiss zu finden, also mache ich hungrig Mittagsschlaf. Den Nachmittag verbummelt meine Familie im Kurbetrieb, weswegen es nur noch für eine kleine Runde durch den Ort reicht, bevor wir in einer etwas skurrilen Fischgaststätte landen. Die Bedienung ist mit schrullig ganz gut beschrieben, jeder Gästetisch (vermutlich auch unsrer) erinnert an eine Loriot-Szene. Das Essen ist aber ganz gut.

Montag müssen die Kinder nochmal in die Betreuung, was den Eltern die Gelegenheit gibt, einen größeren 12km-Spaziergang zu unternehmen. Wir laufen am Strand bis zur „Weißen Düne“. Dort steht ein Holzgerüst und ich frage, was das wohl sei. Die Grundpfähle eines nicht mehr vorhandenen Gebäudes, lerne ich. Die waren früher vollständig im Sand. Nun stehen sie auf dem Strand und ragen 5-6 Meter in die Höhe. Zurück gehen wir durch das zerklüftete Naturschutzgebiet im Innenland und führen schöne Gespräche. Der Nachmittag gehört dann wieder den Kindern. Wir gehen zu einem Spielplatz, den wir am Vormittag entdeckt haben. Ich spiele mit den Kindern, die Frau unterhält sich mit Leuten, die sie kennengelernt hat. Der Wind frischt auf, weswegen wir in einen Strandkorb wechseln und die Kinder den Lenkdrachen fliegen lassen. Dann wartet im „Surfcafe“ das Kaminzimmer, wo wir reserviert haben. Es gibt nochmal sehr schönes Essen. In 100 Jahren wird das hier sicher alles weg sein, muss ich denken.

Am nächsten Morgen hieve ich drei große Koffer in einen Bus, dann in eine Fähre, dann von der Fähre runter, dann in unser Auto. Es geht heimwärts und eine schöne kleine Auszeit geht zu Ende. Die Ostsee bleibt mir aber näher.

Am Rande der Abbruchkante

Julian war Ende der 2010er-Jahre ein ganz normaler Jugendlicher seiner Zeit. Da es keine echten Trends und Subkulturen mehr gab, schloss er sich, ohne es zu wissen, dem Normcore an. Er trug betont gewöhnliche, unauffällige Kleidung, verzichtete auf jegliche Rebellion und Stellungnahme und lebte eine betont uncoole, stille Jugend. Er mochte es simpel aus Flucht vor einer immer komplexer werdenden Realität, mit der er nichts zu tun haben wollte. Zitat: „Macht, was ihr wollt und ich mache hier halt mein Ding.“

Nach der Schule hieß das dann „Mechatronikerlehre“, weil er gerne baute und schraubte und Elektronik mochte. Anschließend konnte er sich seinen Arbeitgeber aussuchen und wählte den, der seiner ersten eigenen Wohnung am nächsten war. So landete er zufällig bei einem der größten Landmaschinen- und Spezialfahrzeugzulieferer des Landes. Die Schichtarbeit und die Nähe zu seiner Wohnung fand er ideal, blieb ihm doch dadurch eine Menge Freizeit, wenn andere keine hatten.

Am 23.Mai 2023, während seiner Spätschicht an der Reinraum-Produktionsstrecke, kippten folgende Erkenntnisse zeitgleich vom Unterbewusstsein in die Erkenntnis:

  • mit seiner Arbeit finanzierte er für den Rest seines Lebens einen halben Rentner mit, Tendenz steigend
  • der 400-Tonnen-LKW, für dessen Hydraulik er hier gerade Elektronik zusammenbaute, würde im Kohlebergbau landen und mithelfen, seine eigene Zukunft zu zerstören
  • der Juniorchef, der diese Firma vor knapp einem Jahr in dritter Generation erbte, hatte vor kurzem den Sprung in die TOP 300 der reichsten Deutschen geschafft

Er ging nach Hause und rührte sich nicht, bis ihm per Einschreiben die fristlose Kündigung zugestellt wurde. Es dauerte über ein halbes Jahr, seine Stelle wieder zu besetzen.

Accept Accept

Durch ein freies Kartenkontingent ergab es sich, dass ich gestern Musikgeschichte am lebenden Objekt studieren konnte. Die prophetischen Gegenwartsphilosophen („If you live by the sword, you die by the sword“, „Wrong is right“) von „Accept“ gaben eine Audienz in Leipzig. Schon alleine der Bandname ist eine einzige Hommage an Seneca.

Was für ein herrlicher Spaß und ein weiterer Haken an der Bucketlist.

Sebnitz – Sächsische Schweiz (Travelblog)

Seidenblumenstadt Sebnitz – da sollte man besser nicht nach einer Abkürzung suchen. An unserem ersten Abend hier laufen wir in die Innenstadt, weil wir hungrig sind. 

Eindrücke:
Wir gehen die Kirchgasse lang, Berg hoch, Berg wieder runter. Eine Kirche finden wir aber nicht gleich, sondern nur den Friedhof. Gegenüber und rundherum stehen viele Häuser leer, manche davon alt, manche Fachwerk-, einige sogar Umgebindehäuser. In einigen Fenstern dort steht noch die Weihnachtsdeko… von 1995 oder so. Jedenfalls von irgendwann gleich nach dem Ende der Dekoindustrie hier im Ort. (Wer diese gruseligen DDR-Weihnachtsmannmasken noch kennt – diese und deren stilistische Verwandtschaft bitte als Fensterdeko vorstellen.) Es gibt aber auch auffällig schöne, interessante Häuser. Das Goethe-Gymnasium z.B. ist ziemlich groß und weckt (mit zugekniffenen Augen) leichte Hogwarts-Gefühle. Im Zentrum selbst ist wenig Leben, sogar keins, wenn man sich die Gruppe Jugendliche Ecke Markt wegdenkt. 

Als ich mit meinen Töchtern auf dem Marktplatz eine alte Postmeilensäule zu entschlüsseln versuche, fährt ein Auto vorbei, welches ausstrahlt: „Ich fresse täglich drei kleine Autos und deine Kinder gleich noch mit dazu“. Auf der Heckscheibe der Fahrerkabine klebt: „Wascht ihr euch die Hände – wir waschen euer Gehirn“ kombiniert mit den Logos von ARD und ZDF. 
Der Vorname „Greta“ ist hier scheinbar auch nicht sonderlich beliebt, wie wir in den kommenden Tagen auffällig oft auf Autorückseiten lesen werden. Was wir noch zu lesen bekommen sind Durchhalteparolen, Kalendersprüche und Aufmunderungen wie: „Du hast nur das Allerbeste vom Allerbesten verdient.“ und „Du bist nicht so toll wie die anderen – Du bist so toll wie du“. Dazu der Hashtag #SebnitzerKomplimente. Das liest man aber nicht auf den Autos, sondern in den Fensterscheiben leer stehender Geschäfte im Zentrum. Als Fremder denkt man sich da zwei Sachen: „Gruselig, dass so eine Aktion nötig ist.“ und „Schön, dass es Leute gibt, die die Laune in der Großen Kreisstadt (10.000 Einwohner) verbessern wollen.“ 
Unser Pensionswirt hatte uns wenig Hoffnung gemacht, dass wir an diesem Sonntag noch eine offene Gaststätte in Sebnitz finden werden, seine wäre ja auch zu bzw. für Pensionsgäste schon offen, aber da wir aktuell die einzigen Gäste sind eigentlich auch nicht. Google sagt was anderes und führt uns in die „Kirchklause“, wo ein Holzofen gemütlich warm bollert und uns die Betreiber gemütlich warm und freundlich empfangen. So einfach kann es sein. Wer interessiert sich schon für leere Häuser und alberne Schilder…

Ich fange an zu googeln. Im Jahr 1997 stirbt der sechsjährige Joseph Kantelberg-Abdullah im Sebnitzer Freibad. Im Jahr 2000 wird dann ein Kriminalgutachten von Zeugen als glaubwürdig eingestuft, wonach er von rassistischen deutschen Jugendlichen ertränkt worden sei und hunderte Gäste dabei nicht eingeschritten wären. Das darauf folgende, internationale  Medienecho hat die Stadt schwer beschäftigt bis traumatisiert, das kann man schon allein aus dem Wikipedia-Eintrag der Stadt herauslesen. Gegen drei Verdächtige erlässt die Oberstaatsanwaltschaft Dresden Haftbefehl, als eigentliche Todesursache wird jedoch ein Herzinfarkt mit anschließendem Ertrinken, ausgelöst durch einen von der Mutter zunächst verschwiegenen Herzfehler des Jungen festgestellt. Eine Kombination aus Medien-Skandal, Justiz-Skandal und Politik-Skandal also, der sich hier eingebrannt hat. Familie Abdulla, einst aus dem Taunus hierher gezogen, ist am Ende finanziell und psychisch ruiniert. Der Aufkauf der Apotheke und eines anderen Wohnhauses ist Thema im Stadtrat, schließlich würde man es begrüßen, wenn die Familie Sebnitz wieder verlässt. Es kommt nicht zum Kauf der Häuser aus öffentlichen Mitteln, die Familie verlässt Sebnitz trotzdem. Auch die drei letztlich zu Unrecht Festgenommenen gehen nicht ohne Schaden aus dem Vorgang. Welche Gründe oder Erfahrungen die Mutter dazu bewegt haben, bis zum Schluss geradezu verbohrt davon überzeugt zu sein, dass ihr Sohn nicht eines natürlichen Todes starb, bleibt ungereimt und spekulativ.
Der Stadtrat indes entwickelt kurz vor der Aufdeckung der wahren Todesursache einen 66-Punkte-Plan mit dem Titel „Wie weiter in Sebnitz?“, ein Millionenprogramm. 
Forderungen darin: Präventivprogramme für Jugendliche, eine Bahnstrecke nach Bad Schandau, Einladungen für Chefredakteure zum Dialog mit Sebnitzer Jugendlichen, aber z.B. auch eine Wetterstation für 20.000,- DM.  Es war mir leider nicht möglich, den vollständigen Katalog im Netz zu finden. 2019 holt die AfD aus dem Stand 21% bei der Gemeinderatswahl und wird zweitstärkste Kraft. 

Wir haben in unserer Urlaubswoche die Kirnitzschklamm für uns als Familie alleine, genauso die Festung Königstein und das nahe Felsenlabyrinth (Highlight der Kinder). Im direkt angrenzenden Tschechien bei der Räuberburg Schauenstein sieht es nicht anders aus. Lediglich an der Bastei treffen wir auf deutsche Rentner, die hier nichts besseres zu tun haben, als die Baukosten der neuen Aussichtsplattform in Leopard II-Panzer umzurechnen. 
Dennoch bleibt das Elbsandsteingebirge mein Lieblingsmittelgebirge in Ostsachsen. Lediglich die „völlig intakte Natur“, mit der Sebnitz auf seiner Homepage wirbt, kann man so nicht mehr uneingeschränkt bestätigen. Dafür liegen zu viele Bäume auf Kipp, wenn sie nicht schon im letzten Sommer abgebrannt sind. Von der Festung Königstein aus fällt uns auf, dass viele Häuser beinahe ganztägig im Schatten der Berge liegen.

Blasser blauer Beitrag

Da spätestens seit der Antike alle philosophischen und moralischen Grundfragen geklärt sind (gnothi seauton, memento mori und das ganze Drumherum) möchte ich das neue Jahr mit einem Foto und einem Zitat aus der Neuzeit begrüßen.
Medén ágan

Pale blue dot – ein Foto der Erde vom Rand unseres Sonnensystems (ca. 6 Mrd. km Entfernung)

Es ist uns gelungen, dieses Bild [aus dem tiefen Weltraum] aufzunehmen, und wenn man es betrachtet, sieht man einen Punkt. [Dieser Punkt] ist hier. Er ist unser Zuhause. Wir sind das. Darauf hat jeder, von dem ihr je gehört habt, jeder Mensch, der je gelebt hat, sein Leben gelebt. Die Gesamtheit aller unserer Freuden und Leiden, Tausender von sich selbst überzeugten Religionen, Ideologien und ökonomischer Doktrinen, jeder Jäger und Sammler, jeder Held und Feigling, jeder Schöpfer und Zerstörer von Zivilisationen, jeder König und Bauer, jedes verliebte junge Paar, jedes hoffnungsvolle Kind, jede Mutter, jeder Vater, jeder Erfinder und Entdecker, jeder Lehrer der Moral, jeder korrupte Politiker, jeder Superstar, jeder oberste Führer, jeder Heilige und Sünder in der Geschichte unserer Spezies lebte dort auf einem Staubkorn in einem Sonnenstrahl.

Die Erde ist eine sehr kleine Bühne in einer riesigen kosmischen Arena. Denken Sie an die Ströme des von all diesen Generälen und Kaisern vergeudeten Blutes, auf dass sie in Herrlichkeit und Triumph für einen Moment Meister eines Bruchteils dieses Punktes würden. Denken Sie an die endlosen Grausamkeiten, die von den Bewohnern einer Ecke des Punktes an kaum unterscheidbaren Bewohnern einer anderen Ecke des Punktes begangen wurden. Wie häufig ihre Missverständnisse sind, wie eifrig sie darin sind, einander zu töten, wie glühend ihr Hass ist. Unser [stolzes] Posieren, unsere eingebildete Wichtigkeit, unser Irrtum einer privilegierten Position im Universum wird von diesem blassen blauen Punkt hellen Lichts in Frage gestellt.

Unser Planet ist eine einsame Flocke in der großen umhüllenden kosmischen Dunkelheit. In unserer Dunkelheit – in all dieser Weite – gibt es keinen Hinweis, dass Hilfe von anderswo kommen wird, um uns vor uns selbst zu retten. Man sagte, dass Astronomie eine bescheiden machende, und ich könnte hinzufügen, eine charakterbildende Erfahrung ist. Meiner Meinung nach gibt es vielleicht keine bessere Demonstration der Dummheit der menschlichen Einbildungen als dieses ferne Bild von unserer kleinen Welt. Mir unterstreicht sie unsere Verantwortung, freundschaftlicher und mitfühlender miteinander umzugehen und diesen blassblauen Punkt, das einzige Zuhause, das wir je gekannt haben, zu bewahren und zu pflegen.

CARL SAGAN

Numb Numbers

Die ideale Anzahl von Sinnesreizen findet der Mensch nur im Wald. Nicht zu viele, nicht zu wenige. Die ideale Anzahl von pflegbaren Sozialkontakten liegt zwischen 2 und 150, der Durchschnitt liegt um 100. Es braucht ein kleines Dorf im Wald, um ein Kind zu erziehen.

Nun waren wir aber im Herbsturlaub in Hamburg gelandet und wie man ziemlich schnell feststellen wird, ist das kein kleines Dorf im Wald. Dann läuft man dort so rum, mit seinen Kindern, die noch nie in so einer großen Stadt waren und muss ihnen erklären, was ein Obdachloser ist, oder warum der betrunkene Mann in der U-Bahn so laut nach Geld gefragt hat und warum wir nicht einfach jedem der Bettler, den wir fortan treffen, welches geben. Dann steht man, auf seine konsumierende Familie wartend, vor der Filiale einer Fast-Fashion-Modekette unweit der Innenalster und in diesen zehn Minuten läuft ein kompletter gesellschaftlicher Abriss vorbei.

Ich stehe keine 10 Meter von einem entfernt, der auf eine kleine Pappkiste mit Einwurfschlitz geschrieben hat „1 kleine gute Tat – 1€ / 1 große gute Tat – 10€“. Alle gehen vorbei. Die japanischen Touristen, die mit ihren Fotoapparaten gerade einen Stop-Motion-Film von Hamburg drehen, die 3er-Gruppe Geschäftsmänner mit den kunstvoll geflochtenen Markenschals, die sich allen Ernstes auf Englisch Business-Buzzword-Sätze um die Ohren hauen, die ältere hanseatische Geschäftsfrau (viel Goldschmuck, feiner Mantel, Chanel-Handtasche) mit einem Flyer der aktuellen Banksy-Ausstellung in der Hand, die deutsche Durchschnittsfamilie (Mutter, Vater, Junge, Mädchen), die sich streitet, wie dieser Tag weitergehen soll. Alle, die hier vorbeigehen, machen gerade irgendwas und halten es, jetzt im Augenblick, für das, was zu tun ist. Wo ist da der Sinn, fragt man sich und was geht in denen so vor?

Ralph Caspers hat in einem Vortrag auf der diesjährigen Re:Publica sinngemäß gesagt: »Das eigene Leben ist sinnlos, bis man ihm selbst einen Sinn gibt.«. Fand ich gut, aber trotzdem.
Hamburg hat in etwa 1,9 Millionen Bewohner, das sind fast so viele, wie ganz Thüringen. In Berlin leben weit mehr Menschen, als in meinem Bundesland Sachsen-Anhalt, selbst dann, wenn es Halle und Magdeburg doppelt gäbe. Nordrhein-Westfalen hat mehr Einwohner, als ganz Ostdeutschland, selbst wenn man da Berlin insgesamt mit reinrechnet und das alles zusammen ergibt noch nicht mal ansatzweise die Hälfte der Einwohnerzahl Deutschlands. Deutschland insgesamt wiederum, stellt aktuell gerade mal ein knappes Prozent der Weltbevölkerung.

Ferdinand von Schirach schrieb in seiner Kurzgeschichtensammlung „Nachmittage“, dass Goethe einst schrieb: »Der Mensch ist zu einer beschränkten Lage geboren; einfache, nahe, bestimmte Zwecke vermag er einzusehen … sobald er aber ins Weite kommt, weiß er weder, was er will, noch was er soll.«
Wenn das stimmt (und es klingt ja schon nachvollziehbar), hat man diesen Konflikt als Hamburger doch ständig um sich, denke ich mir, während ich hier warte.
Was man braucht, worüber man sich freuen kann, was man im Auge haben kann sind: die eigene Familie, ein oder wenn man Glück hat auch zwei handvoll Freunde, denen nicht komplett egal ist, wie es dir gerade geht, danach wird es schon dünn und neblig und trotzdem weiß man irgendwie, dass man immer auch Teil von etwas Größerem ist. Ob das der Typ genauso sieht, der vorhin bei laufendem Motor seines Maseratis im Halteverbot darauf wartete, dass seine Freundin diesen obszön großen Apple-Store wieder verlässt, weiß ich allerdings nicht.
Später in dieser Woche stehen wir auf der Aussichtsplattform der Elbphilharmonie und beobachten gegenüber in der Speicherstadt einen Geschäftsführer(?), der in der obersten Etage des Gebäudes ein riesiges Eckbüro mit riesigem Eckbalkon hat. Er telefoniert gestenreich und geht immer wieder raus auf seinen Balkon und rein in sein Büro. Man könnte meinen, er tut es, um sich und seinen Beobachtern zu beweisen, wie weit er es gebracht hat. Ich würde ihm gerne Kekse zuwerfen, so sehr erinnert das an einen Hamster im Käfig. Es ist kurz nach 17:30 Uhr und in jedem der Büros, in die man blicken kann, ist es geschäftig.
In keinem davon sieht es so aus, als wäre hier bald Feierabend.


Tropennächte

Ich schaue auf den Kalender, es ist Ende Oktober. Dann schaue ich mich an. Jeans, dünner schwarzer Wollpullover. Schuhe, Jacke, Schildmütze. Sollte passen. Ich gehe vor die Tür und weiß nicht, ob ich gerade von Außen nach Innen oder von Innen nach Außen gegangen bin. Dort, wo ich jetzt bin, ist es jedenfalls wärmer, als dort wo ich herkomme.
Dann fällt es mir wieder ein. Die Gaspreise sind gestiegen, Putin, der Krieg, die Heizung, die immer noch konsequent aus bleibt, weil sie es kann. Auch in unserem gut gedämmten Lehmhaus aus dem 19. Jahrhundert.
Dann fällt mir wieder ein, dass ich erst heute Morgen gelesen habe, dass es in Deutschland zum ersten Mal, seit man Temperaturen misst, so spät im Oktober Tropennächte(!) gegeben hat. In Aachen und anderen Städten war es gestern Nacht wärmer als 20° Celsius. Hätten wir die Gründe für die kühle Wohnung und die warme Außentemperatur geklärt. Ich bin draußen und für die Klimakatastrophe höchst unangemessen gekleidet. Ich bringe die Jacke wieder zurück und springe in meinen Lieblingslendenschurz. 

Dummerweise habe ich vor geraumer Zeit den Fehler gemacht, mich so ideologiefrei wie möglich mit dem Klimawandel zu beschäftigen. Frei von Meinungen und Ansichten, also rein auf der wissenschaftlichen Ebene, noch genauer: dem weltweiten wissenschaftlichen Konsens. Alles in allem komme ich daher zu folgendem Schluss, wie unsere Zukunft aussehen wird:

  • zuerst kollabiert unser Wirtschaftssystem (12-15 Jahre!?)
  • dieser Umstand reißt dann den dünnen Firniss der Zivilisation entzwei
  • danach und/oder währenddessen gibt uns Menschen die Klimakatastrophe in einer unwirtlichen Welt erst so richtig den Rest. Die paar, die das alles überleben, müssen da dann ungefähr 1.000 Jahre lang durch, bis es langsam wieder besser wird.

… und das ist (glaube ich) schon mit die optimistischste Variante, die Daten zu verstehen. 

Konkret kann ich also den Zeitpunkt der Apokalypse für mich selbst auf folgenden Termin datieren:
Ein Reichsbürger in Tarnfleck-Anzug erschießt mich ein paar Jahre vor der Rente, weil ich etwas zu lange verduzt auf die 5-Liter-Ravioli-Dose schaue, die aus seinem Armeerucksack lugt. 
Andererseits bekomme ich immer noch Altersvorsorgetipps meiner Sparkasse zugeschickt. Hmm..

Nichts bringt so viel Gewalt hervor, wie der Mangel.

Matrix Resurrections

Intelligenz war in der Evolution noch nie eine gültige Währung, das bestätigten mir neulich erst ein Quastenflosser und ein Leistenkrokodil mit heftigem Kopfnicken, als sie gerade im Schatten eines Gingko-Baumes saßen.
Der Mensch hat sein Handeln noch nie so ganz und rein auf der Basis von Vernunft gedeihen lassen, wenn es eine bessere Geschichte gab, auf die man sich einigen konnte. Sonst würde (nur so zum Beispiel) auch niemand sein Denken und Handeln an einer Geschichte ausrichten, die Jahrhunderte nach den vermeintlichen Ereignissen erstmals auf hebräisch und aramäisch aufgeschrieben wurde, dann, damit es auch nicht gleich jeder selbst lesen kann, eine lateinische Übersetzung bekamen und schließlich, erst ziemlich spät, auf deutsch verfügbar waren.
Und alleine schon die letztgenannte Sprache ist immerhin eine, in der ein Satz wie: „Du sollst diese Touristengruppe umfahren!“ völlig gegensätzliche Bedeutungen haben kann. 

Anderes Beispiel: Deutschland gibt es als Nation erst seit 1871. In der kurzen Zeit bis jetzt hat man sich schon auf höchst unterschiedliche Gesellschafts- und Herrschaftsformen geeinigt (ich komme auf fünf), ohne das sich jemand wundert (von den Grenzverläufen ganz zu schweigen). Trotzdem scheint noch eine weitere, zeitgemäßere Idee aktuell keine guten Chancen zu haben.

Zurück zum Anfang. Was kann man da nun machen, drängt sich die Frage auf? Meine stark vereinfachte Milchmädchenrechnung geht so: Wir müssen sofort alle auf zwei Drittel unseres Wohlstands verzichten und können uns den Rest dann vielleicht klimaneutral wiederholen.
Wird aber nicht passieren. Wer soll es den Leuten sagen? Die Politik schon mal nicht, sonst würde sie nicht weiterhin das 1,5°-Ziel verfolgen, wo dieses doch von der Wissenschaft schon lange beerdigt wurde. Ohne Verzicht geht es nicht. Der Kapitalismus muss sterben. Ein Ding der Unmöglichkeit, bis es eh nicht mehr anders geht. Es fehlt aber auch am bislang unveröffentlichten Plan in dem steht, was jeder Einzelne zu tun hat, damit es doch noch irgendwie klappt, gerade so durch die Kurve zu kommen. Mit einer konkreten Bedienungsanleitung geht vieles besser.
Weltrettung wäre doch eine schöne Geschichte, die man sich erzählen kann. Wäre ich gerne dabei nach all den Jahrzehnten der Völlerei. Kann ich meinen Enkeln im Schatten eines Gingkos sagen: »Kinder, ich war dabei, als damals die Welt für euch gerettet wurde… und nun lasst euch eure Käfer schmecken.«

Der dicke Robert


Bucketlist:

  • Laufen lernen ☑️
    .
    .
    .
  • Weiterlaufen ☑️
    .
    .
  • den dicken Robert singen sehen ☑️
    .
    .
  • die Klimakatastrophe im Alleingang stoppen
  • Weltfrieden

Montag konnte ich einen weiteren Punkt auf meiner Bucketlist abhaken. Muss man tun, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt. Nun war das mit den Gelegenheiten zuletzt etwas schwierig, und auch jetzt ging es nicht ohne Kompromisse. „The Cure“ stehen schon seit immer auf meiner „Will ich mal live sehen“-Liste und nun suchten sie sich ausgerechnet den Oktober 2022 für ein Konzert in Leipzig aus.
Ich musste also rechnen:
Sehr großer Wunsch, die Band mal live zu sehen plus Ungewissheit, ob und wann sie das nächste Mal auf Tour gehen minus steigende Coronafallzahlen minus Bereitschaft des durchschnittlichen sächsischen Konzertbesuchers, eine Maske zu tragen ergibt … keine Ahnung, auf jeden Fall ein unklares Ergebnis. Ich hatte wirklich keine Lust, nochmal (so) Corona zu bekommen, andererseits ist das aktuelle Omikron nicht Delta und keiner weiß mehr, wo das evidenzbasierte Handeln überhaupt abgeblieben ist. Also lautete mein schwammiges Ergebnis: Kauf dir einen Sitzplatz in der obersten Reihe und trag die ganze Zeit Maske.
Und das war der Prolog, wie ich zu meinem ersten „The Cure“-Konzert kam, gleichzeitig dem ersten Konzert in geschlossenen Räumen seit 2019.

Entsprechend einem weiteren Punkt auf meiner Bucketlist, der grob „gib dir Mühe in dieser Klimaangelegenheit, bis der Masterplan für alle da ist“ heißt, fuhr ich mit dem Zug zum Konzert. Ich fand das sogar recht erschwinglich. Einzelstrecke Abelio 8,60€ von Weißenfels nach Leipzig-Leutzsch, dann mit der Straßenbahn zum Sportforum. Dank MDV-Verkehrsverbund „All Inclusive“ und in knapp 50 Minuten gemacht. So weit, so schön. Auf dem Weißenfelser Bahnhof erwartete mich aber erstmal ein mit Menschentrauben gepflasterten Bahnsteig. Es stapelten sich Schüler, Berufspendler, Punker, Fahrradtouristen und andere Gestrandete aufgrund von zwischenzeitlich drei ausgefallenen Zügen, wie ich in der Folgezeit durch die Lautsprecherdurchsagen erfuhr. Polizeieinsatz wegen Schaden im Gleisbett. Interessant.
Allerdings stand auch ein Zug im Gleis, schon mehr als eine halbe Stunde vor Fahrtantritt und zufällig meiner, was ich aber erstmal nicht verstand. Blieb trotzdem die bange Frage, ob ich denn in der Nacht wieder zurückkommen würde, schließlich war ich sehr wahrscheinlich gezwungen, den letztmöglichen Zug zu nehmen, bevor im ÖPNV die Nacht hereinbrach. Ist das alles aufregend..

Dann war ich im Zug. Ansich eine schöne Art zu reisen. Lustig auch, was der Blick aus dem Fenster mit einem macht, wenn man gleichzeitig elektronisch unterstützten Pagan-Folk von „Valravn“ auf den Ohren hat. So ging die Fahrt dahin. Leipzig-Leutzsch unterscheidet sich architektonisch nicht groß von Weißenfels und die Straßenbahnstation war leicht zu finden. Die fuhr dann immer weiter in die Stadt, vorbei an der bunten Großstadtmischung von halbseiden beleuchteten Imbissen, ambitioniert-nachhaltigem Fachhandel, Handyläden und Läden, bei denen es kaum möglich ist, dass sie jemand nutzt. Ankunft am Sportforum. Hier kannte ich mich wieder aus.

Vor Ort holte ich mir noch schnell Geld, um mir eine Cola und irgendwas zu Essen zu holen. Wurde langsam knapp bis 19:30 Uhr. Nun mit Geld ausgestattet, traf ich auf eine echt saure Bretterbudenimbisscrew. Man war dort schlecht gelaunt wegen der vielen Kundschaft und der zur Neige gehenden Ware und je mehr ich wartete, umso mehr wünschte ich mir, ich hätte in dem schicken vegetarisch-asiatischen Imbiss einkehren können, an dem ich gerade vorbeigelaufen war. Kaufte dann aber doch vor Ort eine Portion Süßkartoffelpommes und eine Cola. Die Zeit ran…und letztlich hatte das Personal ja auch nur das von mir so geschätzte Leipzigflair. Immer herzlich, direkt und raus mit den Gefühlen.

Sofort hinter dem Einlass bekam ich in der Quarterback-Arena zu Leipzig davon gleich noch eine Ladung.
»Nur jut, dass du ne Maske offhast, meinor!«, gefolgt von einem Schlag auf die Schulter. War tatsächlich (und wie erwartet) mit circa zwei Dutzend anderen im Saal der einzige mit. Egal. »Droff jeschissn«, wie der Sachse sagt. Kulturelle Unterschiede und unterschiedlicher Informationsstand sind normal. Man hat nur auf sein eigenes Handeln wirklich Einfluss. Menschen denken, was sie glauben. Das ist nicht unbedingt vernünftig.

Vernünftig war es auch nicht, sich einfach auf einen schöneren Platz zu setzen, als den eigenen, in der Hoffnung, das den schon keiner brauchen wird. Brachte mich nämlich in eine Diskussion mit einem akuraten Herren, die tatsächlich mit den Worten »He, das ist aber mein Platz!« begann und mit den Worten »Ich möchte, dass sie sofort aufstehen!« endete.

Nun denn. Zum Konzert. Während all dies geschah spielte die Vorband „The Twilight Sad“ aus Glasgow, was man in die Schubladen „Shoegaze“ und „Post-Rock“ sortiert hat und auch stark nach den düsteren 80ern klang. Sehr ambitioniert im Auftreten, musikalisch fehlte mir was, das im Gedächtnis blieb, aber für den Einstieg nicht übel. Vorband sein ist sowieso nicht leicht, andererseits habe ich schon so manche Vorband gesehen, die mir besser gefiel, als der Hauptakt. Das war heute nicht der Fall.

Viel zu gut waren Robert Smith und seine Band „The Cure“ an diesem Abend spielerisch drauf, viel zu schön war der Ton in dieser Halle abgemischt, viel zu großartig die Tatsache, dass im Hauptset weitgehend auf die Charthits verzichtet wurde, viel zu angenehm der Fakt, drei Zugaben zu bekommen und mit der dritten Zugabe all diejenigen versöhnt zu wissen, die wegen „Friday I’m in love“ und Co. gekommen waren. Mir bleibt ein echt schöner Abend mit perfekt inszenierten sphärischen Klangteppichen in Erinnerung. Würde ich jederzeit wieder machen. Stand nicht umsonst in meiner Bucketlist. Definitiv keine Band, die mit Leistung geizt und live eine, die fast wie vom Band klingt. (Wann kommt eigentlich endlich das neue Album?) Ich finde es auch immer gut, wenn Musiker wegen der Musik auf der Bühne stehen und die Frontmänner und -frauen sich lange Erzählungen zwischen den Liedern sparen. Die wenigen Sachen, die Mr. Smith auf der Bühne sagte, habe ich nicht verstanden, weil sie in der ihm eigenen Art fahrig hingenudelt wurden (… und mein Englisch vermutlich zu schlecht ist für Muttersprachler mit Dialekt).
So weit, so schön.

Als die besagte dritte Zugabe lief, hatte ich mich schon auf die Treppe am Ausgang des Ranges gesetzt, weil ich mir langsam Sorgen um die nun folgende Straßenbahn/Zugverbindungssituation machte. Dort durfte ich aber nicht sitzen, sagte die nette Ordnungsfrau mit ihrem russischen Akzent und so stand ich noch kurz rum und ging, als „Boys don’t Cry“ (glaube ich) anhub.

Ich hatte das Ziel, eine Straßenbahn früher zu bekommen, als alle anderen und dann halt in Leipzig-Leutzsch auf den Zug zu warten. Die 6 Minuten Umstiegzeit, die mir die DB-App für die planmäßige Verbindung ausspuckte, waren mir eindeutig zu knapp und unsicher. Das Problem an der Sache erkannte ich jedoch erst, als ich an der Straßenbahnhaltestelle eintraf. Die einzige Straßenbahn zum Bahnhof Leutzsch fuhr tatsächlich erst 0:09 Uhr .. vorher gab es keine.
Das führte nun dazu, dass ich in der Haltestelle warten musste. Und das führte dazu, dass ein sehr redebedürftiger, irgendwie nicht unssympathischer aber zugleich zugedröhnter Mitzwanziger ständig mit mir das Gespräch suchte. Warum immer ich, wenn auch noch 8 andere Leute an der Haltestelle stehen, denkt man sich da. In der Folgezeit klärten wir unter anderem, dass ich eine E-Zigarette rauchte und keine Shisha, wir beide auf alles verzichten könnten, nur nicht auf Nikotin, er gratulierte mir, dass ich erfolgreich von der Zigarette weg bin und den Rest sicher auch noch schaffe, bevor es zu folgendem schönen Wortwechsel kam:
Er: »Was hast du eigentlich hier gemacht?«
Ich: »Ich war in der Arena bei „The Cure“«
Er: »Was ist das, „The Cure“?«
Ich: »Das ist so eine Band aus den 80ern. Die machen eher so düstere Wave- und Rockmusik.«
Er: »Kenne ich nicht.«
Ich: »Du kennst nicht „The Cure“?«
Er: »Ich bin eigentlich nicht von hier. Ich komme aus Hamburg.«
Er reicht mir sein Handy: »Kannst du mal anmachen, dass ich das checke«
Ich versuche sein Handy in Gang zu kriegen, während er spontan eine ausladende Runde über die Haltestelle dreht, aber das geht nicht. Der Bildschirm ist eingefroren und rührt sich nicht. Mein Handy will ich nicht rausholen, da ist der Fahrschein drin und der Akku fast leer: »Dein Handy geht nich. Musst du mal morgen in Ruhe gucken«
Er: »Ja okay, mache ich. Das nächste Mal musst du einfach sagen, dass ich mein Maul halten soll. Ich labere immer zu viel.«
[Die Bahn fährt ein.]
Er: »Dir noch einen schönen Abend.« (steigt in seine Bahn).
Ich: »Bis zum nächsten Mal..«

Ich nehm dann doch eine Straßenbahn früher, weil auf der irgendetwas von „Leutzsch“ steht und ich mir denke „Kann nicht so falsch sein“. Die bringt mich dann an den Straßenbahnhof Leutzsch, der allerdings über einen Kilometer vom Bahnhof entfernt liegt. Egal, beim Laufen vergeht Zeit. Ich war in der Straßenbahn der Letzte, ich bin auf dem Bahnsteig der letzte. Selbst als meine eigentliche Straßenbahn durch ist, bleibe ich der Letzte auf dem Bahnsteig. Man macht sich immer zu viele Gedanken.

I’m running towards nothing
Again and again and again and again…

Robert Smith

Ich setze die Maske auf, der Vorschrift wegen und steige in den leeren Wagon. Der Zug fährt los, ich komme pünktlich in Weißenfels an.
Livekonzerte. Muss man sich auch erstmal wieder dran gewöhnen.

P.S. Ein Mitbringsel:
P.P.S. Auf dem Rang sitzen ist öde … und zu weit weg.
P.P.P.S. Der Ton kommt aber gut rüber, finde ich.

Im Testzelt

Am 19.November 2021 erhielt ich meine Boosterimpfung. Am 1.Februar 2022 ging ich mit meiner Tochter in Quarantäne, nachdem die Schulen und KITAs der Politik schon ein paar Wochen lang egal geworden waren und sie folgerichtig einen positiven PCR-Test gewonnen hatte.
Unsere Erstklässlerin brauchte in dieser fiebrigen Woche viel Nähe und was wäre ich für ein Vater, würde ich ihr die aus Vernunftgründen verwehren. Ich verbachte folglich viel Zeit neben unserem kleinen Virenbrutkasten, dem es recht schnell besser ging und vertraute auf meinen Impfschutz. Sterben werde ich schon nicht …

Am 4.Februar 2022 bekam ich am Abend ein leichtes Kratzen im Hals. Ich machte einen Schnelltest. Negativ, wie die vielen Dutzend anderen Male in den vergangenen zwei Jahren, in denen meine Familie und ich in allen Belangen ihr Bestes gegeben hatten. Am Samstag wachte ich mit einem grippalen Infekt der oberen Atemwege auf, machte aber nicht noch einen Schnelltest, weil, ach wer weiß, geht schon wieder weg. In der Nacht vom Samstag zum Sonntag hatte ich eine sehr schweißlastige, unruhige Nacht. Vemutlich Fieber, gemessen habe ich nicht. Zu wirr. Ich schleppe mich zum Frühstück, gehe danach direkt wieder ins Bett und schlafe in den späten Nachmittag rein wie so ein Bärtierchen. Danach mache ich doch noch einen Schnelltest, obwohl mir das Ergebnis eigentlich schon vorher klar ist. Der rote Strich im Testfeld ist dicker, als der im Kontrollfeld. Positiv, schöne Scheiße. Bis zu diesem Punkt hatte sich das angefühlt wie eine fette Grippe auf Speed. Fast Forward.

Am heutigen Montag stehe ich Punkt 8:00 Uhr vor dem Testzelt des Gesundheitsamtes im EKZ „Schön konsumieren!“ (Name geändert). Vor Ort fallen mir sofort zwei Dinge auf. Das Test(fest)zelt wird von „Getränke-Stoffler“, dem Haus- und Hoflieferanten meines Vereins gestellt. Ich muss grinsen unter meiner schwarzen FFP2-Maske. Klar, dass ausgerechnet der alte Gauner sich diese lukrative Einnahmequelle unter den Nagel gerissen hat und nicht irgendjemand anderes. Das zweite, was mir ins Auge fällt, ist ein schönmädchenschriftliches Schild, Größe DIN A4, Buntstift, 3farbig in Augenhöhe in einer Scheibe des Baucontainers, der Schaltzentrale dieses Testzeltes:

„Respekt setzt ein gewisses Maß an Intelligenz voraus. Und da fängt das Problem bei einigen ja schon an.“

Offensichtlich hat sich ein solches Schild in den vergangenen Wochen irgendwann als dauerhaft notwendig erwiesen. Ich erhalte das Klemmbrett mit der Nummer 15 von einer Gesundheitsfachkraft, die ihr eigenes Schild offenkundig nicht gelesen hat. Während ich meine persönlichen Daten zur Vorbereitung des amtlichen Schnelltests zu Protokoll bringe, beobachte ich den Rest vom Kundenkreis. Alles Leute, die die Schnelltests offenbar jeden Tag machen. Man kennt sich. Ist eine eingeschworene Gemeinschaft…

»Na und, Renate? Darfste heute auf Arbeit gehn?«
»Dort könnte ich schon lange sein, wenn der ganze Quatsch hier nicht wäre.« (Abwinkgesten)

Ich bin dran, Schnelltest wird gemacht (Nase, ich bin ein paar Mal kurz vorm Niesen), in 15 Minuten soll ich wieder da sein. Ich setze mich so lange ins Auto und höre weiter »Mars Volta«. Als ich wieder aus dem Auto steige, wartet nun schon eine Traube von 20-25 Leuten vor dem Zelt auf ihre temporäre Arbeitserlaubnis. Ich überlege, ob ich da jetzt einfach so durchgehen kann, in meinem Zustand und mache es dann einfach. Habe ja eine FFP2-Maske regelkonform auf der Nase. Kann ja nichts dafür, dass der überwiegende Rest seine Papiermasken mehr oder weniger deutlich unterhalb der Nase trägt.

Als mich die Gesundheitsfachkraft sieht, sagt sie: 
»Ich mache gleich ihre Unterlagen fertig.«, so als würde mir das irgendwas erklären. Meine Nachfrage: »Soll ich da jetzt noch was machen?« kontert sie mit: »Ich habe doch gerade gesagt, dass ich die Unterlagen noch fertigmachen muss!«.

Ich beschließe, etwas abseits zu warten, aber so, dass ich noch gesehen werde. Kurze Zeit später werde ich wieder an die Fensterscheibe zitiert. »Hier, sehen sie. Ihr positiver Schnelltest, aber ich brauche noch ihren Ausweis, ich kann ihre Schrift absolut nicht lesen.« Die umliegenden Personen sehen mich nun die restliche Zeit der Veranstaltung an, wie einen Yeti, mit der Frage im Gesicht: »Wie, die gibt es also wirklich!?«, jedoch verstohlen, so, dass es erst recht auffällt. Aus meinem maximalen Mindestabstand heraus warte ich wieder ab, wie es nun weitergeht und komme mir dabei vor, wie jemand von öffentlichem Interesse… in diesem Mikrokosmos hier.

Die Traube lichtet sich, irgendwann sind scheinbar auch meine Unterlagen fertig. Ich darf ein letztes Mal ans Fenster. Dieses Mal PCR-Test. Dieses Mal Rachen. Dieses Mal muss ich fast brechen, so tief geht es rein mit dem Tupfer. Mit den Worten: 
»Das hier ist ein QR-Code, den scannen sie übermorgen mit der Corona-Warn-App, dann kriegen sie ihr Ergebnis. Nicht heute! Nicht morgen! Übermorgen!«, werde ich zurück in die Quarantäne entlassen… ich bedanke mich.
Keine 14 Tage später bin ich wieder negativ, aber immer noch krank.