
Herbstferien. Die Familie will nochmal an die Ostsee. Weil die Ostsee das Allerbeste ist. Wir landen in Pobierowo, zwei Orte weiter, als wir vor ein paar Jahren schonmal waren.
Am ersten Tag gehen wir am Strand nach rechts. Vier Kilometer. Links entspannende Wellen. Oben theatralische Herbstwolken. Rechts leichte Steilküste mit Küstenwald obendrauf unten Sand. Mich entschleunigt das auch und das ist gerade auch nicht das Falscheste. Am Ende der Wanderung wartet eine große Stahlkonstruktion, die ungefähr 10 Meter über dem Strand endet. Daneben, auf der Steilküste, stehen Reste einer Kirche, weil die Ostsee früher noch ein paar hundert Meter weiter entfernt war.

Am nächsten Tag gehen wir am Strand nach links. Rechts entspannte Wellen, oben theatralischer Wolkenhimmel, durchbrochen von Sonnenstrahlen, links leichte Steilküste mit Küstenwald obendrauf unten Sand. Nach vier Kilometern erreichen wir ein verfallenes Strandhaus. An der Seite ist ein Loch und man kann reinschauen. Teilunterkellert, total verwohnt, tolle Lage. Das ehemalige Strandhaus von Eva Braun, Hitlers Trulla.

Vier Kilometer nach links findet man Schatten des Faschismus, vier Kilometer nach rechts Mutter Natur (Gaia, Magna Mater, Tellus, Rhea, Ceres, Bhumi, Mundo) die eine Kirche frisst. Mittendrin Urlaub, antisemtische Ausschreitungen in Deutschland und ein Rückführungsgesetz als Lösung aller Probleme. 50.000 Menschen abschieben, falls das gelingt, wird sicher alle Probleme Deutschlands lösen. Zum Beispiel die 300.000 fehlenden Kitaplätze, oder die Ignoranz der Klimakrise und die Flüchtlinge, die diese auch in die schuldigen Industriestaaten führen wird. Aber was weiß ich schon. Außerdem gab es Mails von meiner Chefin. Ich deaktiviere den Mailaccount für die kommenden Tage.

(auf Vetrauensbasis)
Wir haben eine schöne Unterkunft gefunden. Direkt hinter dem Küstenwald kann man vom Schlafzimmer aus durch die Bäume hindurch die Ostsee sehen. Kurze Wege. Statt Buden für Touristenschrott, Eis und Kurzgebratenes findet man in den Orten nur Planen und Spanplatten am Wegesrand. Das ist schön, macht es aber nicht ganz leicht, Abwechslung in die Gaststättenbesuche zu bringen. Am ersten Abend landen wir im Restaurant eines Spa-Hotels, dass für die Hotelgäste ein Abendbufett aufgetafelt hatte. Wir sind alleine unter polnisches Gästen. Ich mag das, beobachte und trinke Fassbier.
Die Tage gehen dahin, wir nehmen uns garnichts vor. Schlafen lange, genießen die gemeinsame Zeit, spielen Ubongo und Stadt, Land, Fluss, gehen einmal am Tag essen. Die beste Frau von allen badet beinahe täglich bei 8/9° in der Ostsee. Das hat sie im Frühjahr an der Nordsee gelernt. Ich lese ein Buch fertig, dann noch zwei weitere komplett. Die Töchter haben Spaß miteinander und sind albern.
Ein Ausflug führt uns nach Kolobrzeg. Auch da ist es viel angenehmer als im Sommer. Meistens sind wir aber in der Natur oder laufen durch leere Orte, mal mit, mal ohne Nieselregen und dann ist die Woche auch schon wieder rum.

Am letzten Tag unterhalten wir uns mit dem Vermieter. Der kennt Leipzig gut und auch Torgau, sagt er, nachdem er uns fragte, wo wir genau herkommen. Als ich ihn zurückfrage, woher er Leipzig kennt, sagt er, aus dem Sozialismus. Er hat auf einer Pelztierfarm gearbeitet und es bestand da eine Zusammenarbeit mit Torgau. Als ich „Leipziger Messe“ sage, leuchten seine Augen. Einige Freundschaften bestehen bis heute und zu Silvester bekommt er Besuch von alten deutschen Freunden aus dieser Zeit. Doch meistens kümmert er sich jetzt um seine Enkel. Wieder beginnen seine Augen zu leuchten. Der jüngste Enkel ist drei und man merkt, dass er ihn besonders mag. Vor kurzem war er mit der ganzen Familie in Ägypten und im Winter reisen alle nochmal zum Skifahren nach Italien. „Beste Zeit des Jahres“ sagt er. Wir tauschen Kontaktdaten aus. Wenn wir wollen, sollen wir direkt buchen. Ist billiger als im Internet.
Vielleicht sind wir im Sommer also wieder hier. Die Ostsee ist das Beste und die polnische Ostsee gleicht der deutschen wie ein Ei dem anderen.
